Montag, 16. Juni 2014

Wahrer Tribut

Rezension:
The Jeffrey Lee Pierce Project -

Axels & Sockets 
(Glitterhouse)
„Axels & Sockets“ ist bereits die dritte Veröffentlichung des losen Musiker-Verbunds, der sich dem Ziel verschrieben hat, die Erinnerung an den Musiker, Autor und Weltenbummler Jeffrey Lee Pierce lebendig zu halten, der in den Achtzigern mit seiner Band The Gun Club Punk, Blues und Americana auf unnachahmliche Weise verknüpfte, bevor er 1996 mit nur 38 Jahren starb. Dabei geht es hier nicht darum, wie sonst bei Tribute-CDs gang und gäbe, die bekanntesten Songs von irgendwem nachspielen zu lassen, der gerade angesagt ist und dessen Name ein paar ordentliche Verkaufszahlen verspricht: Hier haben sich ehemalige Weggefährten daran gemacht, gemeinsam mit anderen Brüdern und Schwestern im Geiste das Werk fortzuführen, das Pierce selbst nicht mehr vollenden konnte. Wie schon auf den ersten beiden Alben, We Are Only Riders und The Journey Is Long, handelt es sich bei den Songs nämlich nicht um bereits bekanntes Material, sondern um Bearbeitungen von bisher unveröffentlichten Titeln, die Pierce selbst nie fertig stellte, und die sein Mitstreiter Cypress Grove posthum auf Demo-Cassetten entdeckte.


Und die Liste der Beteiligten kann sich auch dieses Mal wieder sehen lassen. Als erstes hören wir Iggy Pop, wie er Pierces Namen skandiert, um sich dann gemeinsam mit Nick Cave und Thurston Moore in das kernig-rockige „Nobody’s City“ zu stürzen. Debbie Harry, zu der Pierce zeitlebens als ehemaliger Vorsitzender des Blondie-Fanclub-Chapters von Los Angeles eine besondere Beziehung hatte, liefert mit „Kisses For My President“ sperrigen Punk ab, unterstützt von The Amber Lights. Denselben Song hat sich auch Andrea Schroeder vorgenommen, präsentiert ihn jedoch als düstere Walkabouts-würdige Ballade. Lydia Lunch hat kurze Spoken-Word-Schnipsel von Pierce mit ihren eigenen zu einer verstörenden Geräuschcollage verwoben: „The task has overwhelmed us.“ Eine Aussage, die symbolisch durchaus für das gesamte Projekt stehen könnte.

Pierces markante, hysterische Stimme bildet den Abschluss mit „Shame And Pain“, in dem textlich er über den alten Lovin’-Spoonful-Klassiker „Summer In The City“ improvisiert, musikalisch eingerahmt von Mark Stewart und Thurston Moore, und es ist schön, nach den Interpretationen anderer Künstler noch einmal den Meister selbst zu hören. Andererseits: Diese Platte atmet so sehr den uramerikanischen Independent-Geist, den Pierce verkörperte, dass das eigentlich nicht nötig ist. Honey, eine junge Band aus Großbritannien, die der britische Journalist Kris Needs zum Projekt hinzubat, klingen bei „Thunderhead“ mehr nach dem Gun Club der frühen Jahre, nach „Sex Beat“ und „She’s Like Heroin To Me“, als Pierce es später oft selbst tat. Primal Scream hingegen sind in jeder Note ihres Remixes von „Goodbye Johnny“ sie selbst, sperrig und eckig und avantgardistisch, und sie erinnern auf ihre eigene Weise an eine selten gewordene Geisteshaltung, die von der Liebe zur Musik und einer Kompromisslosigkeit geprägt war, die sich über alle Grenzen hinwegsetzte, auch die eigenen körperlichen.

Die beiden herausragendsten Songs stehen jedoch in der Blues-Tradition, bei der Pierce sich oft bediente, auch wenn er sich ihr nie völlig verschrieb: das leise geraunte und dennoch packend kraftvolle „Desire By Blue River“ von Mark Lanegan und Bertrand Cantat und vor allem Hugo Races gefährlich-getriebenes „Break ’em Down“. Neben Race und Cave sind natürlich noch weitere Vertreter der alten Ami-Aussie-Punkblues-Connection mit an Bord, Mick Harvey und Kid Congo, Warren Ellis und Jim Sclavunos, und schon allein das macht dieses Album für jeden Achtziger-Indie-Fan zum Fest. Dass diese Songs durch die Bank hochkarätig geschrieben, eingespielt und produziert wurden, kommt dazu. Für das Booklet-Design sowie die informativen und einfühlsamen Texte gibt es noch ein Extra-Sternchen. Vor allem aber wird auf respektvolle und kreative Weise ein Künstler geehrt, der das mehr als verdient hat. Wenn alle Compilations so aussähen, hätte die Musikbranche keine Krise.